Jüdisch ist, wer
Kind einer jüdischen Mutter ist. Das Religionsgesetz, die Halacha ist da
eindeutig. Allein auf die Mutter kommt es an. Herkunft und Glauben
des Vaters sind irrelevant. Deshalb gelten Menschen mit jüdischem Vater
und nichtjüdischer Mutter - "Vater-Juden", nach einem 1995 von Andreas
Burnier geprägten Begriff - nicht als ihresgleichen. Selbst das
Reformjudentum hält sich an diese Regel.
Zwar hat das "Committee
for Patrilinear
Descent" der amerikanischen Reformgemeinden
1983 einen ersten Beschluß
gefaßt, der den jüdischen Status von Kindern
mit nur einem jüdischen Elternteil - gleich ob Vater oder Mutter - im
Prinzip akzeptiert. Um aber offiziell in eine Gemeinde aufgenommen zu
werden, bedarf es auch dort zusätzlicher religiöser Unterweisung und
eines formellen Beitrittsakts.
Dabei steht die
Matrilinearität im Widerspruch zum biblischen Recht, das entschieden
patrilinear ist, sagt der niederländische
Forscher Piet van der Horst. Angehöriger des Priesterstammes Cohen
beispielsweise ist man bis heute nicht durch seine Mutter, sondern durch
seinen Vater. Noch im babylonischen Talmud (Traktat Baba
Batra 109b) heißt es klar: "Die Familie des
Vaters wird als die Familie des Kindes angesehen, die Familie der Mutter
nicht." Zwar tauche, so van der Horst, das
matrilineare Prinzip bereits im Tanach,
bei Ezra, auf. Doch danach sei rund 600 Jahre nicht mehr davon die Rede
gewesen.
Die Matrilinearität
ist nicht biblisch, sondern rabbinisch begründet und taucht in
verbindlicher Form erstmals in der Mischna auf, den ersten von Rabbinen
niedergeschriebenen Dokumenten. Nicht-rabbinische Abspaltungen des
Judentums, etwa die Samaritaner, kennen bis heute nur das
patrilineare Prinzip. Warum die Rabbinen die
biblische Patrilinearität durch das Prinzip der mütterlichen Herkunft
ersetzt haben, darüber, so van der Horst, gibt es zwar vielfältige
Vermutungen, doch nur eine wissenschaftlich gesicherte Antwort: "Wir
wissen es nicht!"
Van der Horst machte
seine Ausführungen bei einem Amsterdamer Seminar in diesem Frühjahr, auf
dem Wissenschaftler, jüdische Organisationen und Betroffene sich
erstmals in Europa mit dem Phänomen der "Vater-Juden"
auseinandersetzten. Die niederländische Metropole war ein geeigneter Ort
für dieses Thema. Nirgendwo sonst außerhalb Nordamerikas ist das Thema
"Vater-Juden" bisher so intensiv erforscht worden wie in Holland.
Marlene de Vries beziffert in in ihrer
Studie "De Joden in Nederland Anno 2000" ihren Anteil unter den
insgesamt rund 43.000 niederländischen Juden auf etwa 29 Prozent. Deren
innere Verbundenheit mit dem Judentum als Religion oder Volk ist, so de
Vries, schwach ausgeprägt. Nur 18 Prozent sehen sich als Juden. Die
übergroße Mehrheit, 61 Prozent, definiert sich "nicht so sehr als
jüdisch, sondern als Person mit jüdischem Hintergrund". 14 Prozent
machen ihre jüdische Identität "abhängig von der jeweiligen Situation"
und 7 Prozent definieren sich als Nichtjuden.
Die mangelnde
kulturelle und religiöse Verbundenheit erklärt de Vries damit, daß unter
jüdischen Männern, die außerhalb ihres Glaubens heiraten, also den
Vätern, der Anteil der Säkularen naturgemäß besonders groß ist. Ihre
sozial-kulturelle und religiöse Beziehung zum Judentum ist nur noch
schwach ausgeprägt; die ihrer Kinder noch schwächer. So sei denn auch
das Problem nicht so sehr, daß diese "vaterjüdischen" Kinder von den
jüdischen Gemeinden ausgegrenzt würden, sondern daß sie selten jüdisch
erzogen wurden und kaum Kontakt zu anderen Juden haben. Eigene
Möglichkeiten jüdischen Lebens auch außerhalb fester Gemeindestrukturen
- etwa die, jüdische Festtage im privaten Rahmen zu feiern oder sich
Hebräischkenntnisse anzueignen - würden nicht wahrgenommen.
Eine starke
Identifizierung mit dem Judentum findet in dieser Gruppe dennoch statt -
über den Antisemitismus und die Schoa. Bei
"Vater-Juden" sei die Betroffenheit gerade wegen ihrer "unsicheren
Position" besonders groß, sagt de Vries. Das allerdings sei kein
"vater-jüdisches" Spezifikum: Ein Vergleich mit Kindern aus anderen
ethnisch oder kulturell gemischten Elterhäusern, bei denen die
Gruppenidentität ebenfalls unsicher ist, habe ergeben, daß auch sie
besonders sensibel auf Rassismus und Diskriminierung reagieren.
"Vater-Juden", so de
Vries, litten darunter, weder zur jüdischen noch zur nichtjüdischen
Seite zu gehören. Um ihre Position im Judentum zu stärken, müsse das
Band auf sozial-kultureller Ebene ausgebaut werden. Für die angehende
Rabbinerin Tamarah
Benima gibt es für Vater-Juden, die als "richtige" Juden
anerkannt werden wollen, nur einen Weg: den religiösen. Der allerdings
verlangt gravierende innere und äußere Auseinandersetzungen, wie eine
Reihe von Seminarteilnehmern aus eigener Erfahrung berichteten. Im
kommenden Jahr soll die Diskussion bei einem weiteren Seminar
fortgesetzt werden.
Ruth Zeifert
arbeitet an einem Promotionsvorhaben zu deutschen Kindern jüdischer
Väter
Erschienen in:
Jüdische Allgemeine v. 17.08.2006