Volkhoven/Weiler
- Ganz still war es im Pädagogischen
Zentrum des Heinrich-Mann-Gymnasiums, als die 79-jährige Blanka Pudler
zu ihren Erzählungen ansetzte. „Über meine Vergangenheit habe ich ganz,
ganz lange Zeit gar nicht sprechen können", sagte die heute 79-Jährige.
Sie musste 1944 ihren 15. Geburtstag im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
verbringen und ist eine der letzten noch lebenden Zeitzeugen des Holocausts.
Die in der Ukraine geborene und heute in Budapest lebende Frau besuchte
mit der Dokumentarfilmerin Elke Mark und Brigitte Gensch vom Verein „Der
halbe Stern" die Schule, um von ihren schlimmen Erinnerungen zu
berichten und vor dem Antisemitismus zu warnen.
Blanka Pudler fängt mit ihrer sanften Stimme an zu erzählen. Sie
ist eine liebenswerte Frau mit scharfem Intellekt, die sich trotz all
ihrer Erlebnisse nie hat brechen lassen. Vielleicht halfen ihr auch ihr
Optimismus und ihre Empathie für andere Menschen, die grauenvollen Jahre
ihrer Jugend durchzustehen. Un-fassbares Entsetzen liegt im Raum, SKN08V/1
als sie von ihrer Deportation erzählt: Mit etwa 70 Personen in einen schmutzigen
Viehwaggon eingepfercht, ging es für sie und ihre Familie auf eine dreitägige
Fahrt ins Lager - wo sie nach ihrer Ankunft auf den berüchtigten KZ-Arzt
Josef Mengele traf („Er hat Menschen als Kaninchen verbraucht und schreckliche
Experimente gemacht"), der die Neuankömmlinge emotionslos selektierte
und Blanka Pudler für immer von ihrer Mutter trennte. Ihren geliebten Hund
hatte sie bereits zurücklassen müssen, als ihre Familie von Polizisten aus ihrer Wohnung in Ungarn gejagt wurde.
Da waren sie gerade dabei, sich auf das Sabbat-Fest vorzubereiten.
Nicht minder schrecklich sind ihre Erinnerungen aus dem Lager:
„Wir waren nicht mehr dieselben Menschen", schilderte sie ihr Gefühl,
als sie mit kahl geschorenem Kopf und mit Lumpen bekleidet während stundenlanger
Zählappelle auf
dem Hof des Lagers ausharren musste. „Es war so demütigend!" Sie schildert
unvorstellbaren Durst, Entkräftung und Verzweiflung - gepaart mit einem
dennoch immer vorhandenen Überlebenswillen. Den behielt sie trotz des
Wissens um die Bedeutung der rauchenden Schornsteine im Lager und von
einem auf den anderen Tag verwaisten Gefangenenblocks.
Durch ihre Abordnung zur Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik
des KZs Hessisch-Lichtenau entging sie dem Tod: Obwohl die Arbeit mit ätzenden
Chemikalien ihre Gesundheit stark angriff und die Haut gelb verfärbte (die
Nachbarn im Dorf nannten sie später zynisch „Kanarienvogel"), bewahrte
sie dies vor der Gaskammer - sie hielt durch, bis sie durch US-Streitkräfte
am 25. April 1945 befreit wurde.
Nach der Schilderung ihrer Geschichte bekamen die Schüler Gelegenheit,
zu diskutieren und Fragen zu stellen -etwa die, wie sie das Vertrauen
zu Deutschland wiederfinden konnte: „Ich habe nie generalisiert und gesagt,
dass die Deutschen schlecht wären", antwortete Pudler und erwähnte
einige positive zwischenmenschliche Erfahrungen in Hessisch-Lichtenau.
Wie sie damals das Geschehen mit ihrem Glauben vereinbart hat, will eine
Schülerin wissen. „Ja, ich habe meinen Glauben im Lager verloren - aber
jetzt, wo ich älter bin, möchte ich zu Gott zurückfinden, bevor ich sterbe."
Nach anderthalb Stunden ging die anrührende Begegnung mit der alten
Dame zu Ende. „Passt auf, meine Kinder, dass so was mit euch nicht passieren
wird", ruft sie die Schüler zur Wachsamkeit
gegenüber Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auf. „Wenn die Jugend
nicht dagegen arbeitet, wird es gefährlich", ist sie überzeugt. Einige
der Gymnasiasten überreichten ihr zum Abschied Rosen; Blanka Pudler umarmte
sie zum Abschied.
Blanka
Pudler
blickt auf eine bewegte und
über Jahre hinweg schreckliche Vergangenheit zurück: Denn die heute
in Budapest lebende Zeitzeugin wurde als Jugendliche in das Konzentrationslager
nach Auschwitz deportiert.
Über ihre Erfahrungen als junge Jüdin in Deutschland berichtete
sie jetzt den Schülerinnen und Schülern des Heinrich-Mann-Gymnasiums,
die den Erzählungen der Holocaust-Überlebenden gebannt zuhörten und anschließend
viele Fragen stellten.
Besonders die Art und Weise,
wie Blanka Pudler ihre Geschichte erzählte, zog die vielen Schüler in den Bann: Wohl auch, weil sie
die schrecklichen Details aus ihrem Leben nicht zensiert: „Das war uns
damals besonders wichtig in Auschwitz: Überleben, um den Menschen zu erzählen,
was hier passiert ist. Und das ist mir auch heute noch wichtig: Die Jugendlichen
dürfen nicht vergessen, was damals geschah", so Blanka Pudler, deren
Lebensgeschichte mittlerweile sogar verfilmt wurde: „Kanarienvogel" lautet der Titel der Dokumentation von Regisseurin
Elke Mark, die das Leben der 80-Jährigen zu schildern versucht. „Der Titel hat etwas mit meiner Zwangsarbeit
in einer Leipziger Munitionsfabrik zu tun. Dort mussten wir ohne Schutzbekleidung
mit gefährlichen Säuren arbeiten. Darauf hin wurden unsere Haare, unsere Haut, Fingernägel und Augäpfel gelb. Deswegen nannten uns die Leute „Kanarienvögel".
Beklemmend ist auch die Passage, in der Blanka Pudler
über ihre Begegnung mit KZ-Arzt Dr. Josef Mengele berichtet, der
sie von ihrer Mutter trennte: „Das letzte Mal, als ich sie lebend gesehen
habe" - an dieser Stelle ist es ganz still im Pädagogischen Zentrum
des Heinrich-Mann-Gymnasiums. Brigitte Gensch vom Verein „Der halbe Stern",
der sich um durch NS-Verfolgung traumatisierte Menschen kümmert, verriet:
„Ich habe schon viele Zeitzeugengespräche geführt: Aber heute sind mir
nach langer Zeit mal wieder die Tränen gekommen."
Mit Tränen zu kämpfen hatte auch eine Schülerin bei der anschließenden
Fragerunde: „Ich bin selbst Jüdin und fühle mich hier manchmal nicht zu
Hause. Meine Großmutter starb im Konzentrationslager. Welchen Tipp können
sie jugendlichen Juden in Deutschland geben?", fragte sie. Eine
allgemeine Antwort konnte Blanka Pudler leider nicht geben - dafür aber
eine herzliche Umarmung. Eine weitere Frage:
„Wie
konnten sie ihre Erlebnisse in Auschwitz mit ihrem Glauben vereinbaren?" Antwort:
„Eine schwierige Frage. Ich habe meinen Glauben lange Zeit in Auschwitz
gelassen. Gott war dort einfach nicht präsent." Heute wünsche sich
Blanka Pudler, ihren Glauben wieder finden zu können: „Ich habe nie generalisiert.
Nie den Glauben an die Menschlichkeit verloren, dehn zum Beispiel, haben
uns Menschen Kartoffeln oder Obst über die Mauern des KZ's geworfen.
Doch der Glaube an Gott war lange verloren. Heute gehe ich manchmal wieder
zur Synagoge. Aber ich merke, die Gebete kommen noch nicht von Herzen."
Ein anderer Schüler stellte die Frage, wie Blanka Pudler zur Diskussion um die
Rehabilitation des Bischofs William Richardson, der in einer TV-Show den
Holocaust leugnete, stehe: „Schrecklich. Die Geschehnisse von damals einfach
zu leugnen oder sie einfach nur zu vergessen ist der falsche Weg. Das
ist wichtig, damit sich die Geschichte nicht wiederholt."
Foto
Mit Blumen bedankten sich Schülerinnen und Schüler bei der Zeitzeugin Blanka
Pudler für ihren Vortrag. (
© B.Schöneck )